Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Erkenntnis.

In der vergangenen Woche haben mehrere konservative Vordenker und Kolumnisten wie Frank Schirrmacher und Michael Spreng offen Kritik und Zweifel am neo-liberalen Kurs unseres Wirtschafts- und Gesellschatsordnung geäußert. Findet ein Umdenken in wertkonservativen Kreisen statt?

Es geht ein Gespenst um in konservativen Kreisen. In den vergangenen Tagen haben viele große und einflussreise konservative Denker und Lenker unabhängig voneinander offen Kritik und Zweifel am Model des freien, entfesselten Marktes gehegt. So stellt Charles Moore, offizieller Biograph von Margaret Thatcher und jahrelanger Chefredakteur verschiedener konservativer Zeitungen, die Frage ob die Linke wohlmöglich all die Jahre recht hatte.

Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer konservativen Tageszeitung, greift diese Frage auf und kritisiert zusätzlich mit welcher Apathie die Politik diesem Treiben der “gierigen Wenigen” (Moore) zusieht.

Michael Spreng, ehemaliger Chefredakteur von Bild und Bild am Sonntag, geht sogar noch einen Schritt weiter und warnt “Dann werden ‘Die Empörten’ vor jedem Regierungssitz stehen und nicht nur in London die Straßen brennen. Es ist 5 Sekunden vor zwölf.”

“Die Empörten”, so nennen sich die seit Monaten in Spanien Protestierenden in Anlehnung an die Streitschrift “Empört Euch!” von Stéphane Hessel. Es ist eine Streitschrift für soziale Gerechtigkeit und gegen den ungezügelten Finanzkapitalismus. Hessel schreibt dort: “Neues schaffen heißt, Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt, Neues schaffen.”

Auf den NachDenkSeiten, die auch Schirrmacher in seinem Artikel erwähnt, erinnert Albrecht Müller daran: “Das Grundgesetz gibt sogar das Recht zum Widerstand, wenn die Grundrechte bedroht sind, auch wenn die Sozialstaatlichkeit bedroht ist”.

Ob wertkonservative Kreise in Anbetracht der politischen und wirtschaftlichen Lage tatsächlich ihre Weltsicht ändern, weiß ich nicht. Aber, was ich weiß ist:

Es ist Zeit zum Umdenken.
Es ist Zeit für Erneuerung.
Es ist Zeit für Widerstand.

Gedanken zu Kapitalismus, Arbeit und Sozialsysteme

Seitdem ich letzte Woche den “Not Safe for Work” Podcast von Tim Pritlove und Holger Klein mit dem Titel “Alte Kugelschreiber” gehört habe lässt es mich nicht mehr los. Im NSFW fiel unter anderem das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen und es wurde die Frage in den Raum gestellt warum die durch Rationalisierung erwirtschafteten Profite nicht den Menschen zur Verfügung gestellt werden, die durch eben diese Rationalisierungen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Seitdem schwirrt dieser Gedanke in meinem Kopf umher und will mich nicht mehr in Ruhe lassen.

Ich bin in Wirtschaft nicht besonders bewandert, auch wenn ich auf meinem BWL Schein eine 1 stehen habe. Ich möchte aber dennoch ein – oder eher zwei – Gedankenexperimente wagen. Seit geraumer Zeit mache ich mir Gedanken zur Zukunftstauglichkeit unseres Wirtschaftssystems. Die Finanzkrise hat meine Befürchtungen, dass System werde langfristig nicht funktionieren, nur untermauert. Ich versuche euch meine Gedanken etwas darzulegen…

Warum das Kapital ein Interesse an niedrigen Löhnen hat
Grundsätzlich lassen sich Produkte in zwei Kategorien unterteilen. Nämlich günstige, industriell produzierte Produkte minderer Qualität und teure, manuell produzierte Produkte höherer Qualität. Die Grenzen sind selbstverständlich fließend und in manchen Branchen ist der generelle Anteil an maschineller oder manueller Arbeit größer oder kleiner als im Schnitt. Generell kann man aber in diese zwei Kategorien pauschalisieren. Bemerkenswert ist, dass je größer ein Produktionsbetrieb ist, desto einfacher fällt ihm die Produktion von Produkten der ersten Kategorie und je kleiner ein Produktionsbetrieb ist, desto einfacher fällt ihm die Produktion von Produkten aus der zweiten Kategorie. Ein kleines, mittelständiges Unternehmen kann sich eben keine hochtechnisierte Fertigungsstraße zur Massenproduktion leisten – die Qualitätskontrolle aber zum Beispiel, fällt in der Massenproduktion höchstens Stichprobenartig aus. Ein Massenbetrieb hat es somit schwieriger Qualitativ hochwertige Ware zu produizeiren.
Darum gibt es einen großen Markt mit günstigen, qualitativ schlechteren Produkten (Discounter jedweder Art). Die “Global Player” können nur einen solchen Markt effizient bestücken. Nun bedarf es aber eben auch an Abnehmer für einen solchen Markt. Da aber nur Menschen, die nicht über das nötige Kleingeld verfügen um die teureren, qualitativ hochwertigeren Produkte zu kaufen, überhaupt Produkte der schlechteren Kategorie kaufen, benötigt das Kapital eine breite Schicht an schlecht verdienenden Abnehmern, die sich nichts anderes Leisten können als die Produkte aus der Massenfertigung. Je größer die Produktionsbetriebe werden, desto stärker wird dieser Trend. Die Produzenten haben also nicht nur ein Interesse ihre Arbeitnehmer schlecht zu bezahlen um Lohnkosten einzusparen sondern vor allem auch um einen Abnehmermarkt für ihre günstigen Produkte zu haben! Es traf mich wie ein Schlag als mir das bewusst wurde!

Warum unsere Sozialen Sicherungssysteme Versagen werden und das Konzept Erwerbsarbeit tot ist
Mit der Industrialisierung kamen die Maschinen. In den ersten Jahren konnten die Maschinen vor allem die Produktivität steigern. Sie waren komplementär zu menschlicher Arbeitskraft. In den letzten Jahrzehnten jedoch wird Roboter- und Computertechnik immer effizienter und Maschinen ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskraft. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen. Computer- und Robotertechnologie wird immer weiter menschliche Arbeitskraft verdrängen bis hin zu dem Punkt wo Roboter fast die gesamte Arbeit automatisiert erledigen werden können. Durch immer modernere Technik und immer weiter fortschreitende Rationalisierung werden immer mehr Menschen ohne Erwerbstätigkeit sein. Dieser Trend ist nicht abstreitbar und auch nicht vermeidbar. Die Utopie, dass eines Tages Maschinen die gesamte Arbeit für die Menschheit erledigen werden wird immer mehr zum Alptraum für Erwerbstätigen! Sollte darum der Profit, den Unternehmen aus Rationalisierung schöpfen, nicht zurück an die Gesellschaft fließen? Immerhin ist Rationalisierung offensichtlich gesellschaftsschädigend! Außerdem entspringt die Technologie, die die Rationalisierung überhaupt erst ermöglicht hat aus einer Gesamtgesellschaftlichen Anstrengung in Form von Forschung, Bildung und Wissenschaft!

Dieses Dilemma gilt es in den nächsten Jahrzehnten zu überwinden, sonst wird unsere Gesellschaft daran zerbrechen. Mögliche Ansätze die zu einer Lösung beitragen könnten:

- Arbeitnehmer dürfen nicht zu Lohnmarionetten der Arbeitgeber verkümmern! (zB durch einen gesetzlichen Mindestlohn)
- die Gesellschaft muss ihr Anrecht am Profit durch Rationalisierung einfordern! (zB in Form einer Besteuerung von Maschinenarbeit)
- es wird in Zukunft keine Flächendeckende Erwerbsarbeit mehr geben, die Gesellschaft muss für diese ohne Erwerbsarbeit sorgen! (zB durch ein bedingungsloses Grundeinkommen)

Mich würden auch eure Gedanken zu dem Thema brennend heiß interessieren, egal ob ihr mir beipflichten, meine Ideen kritisieren oder eure eigenen Ideen einbringen wollt!