Richtig oder Falsch: Was ist das Maß der Moral?

Ich bin ein riesen Fan von TED. Viele große Geister haben schon viele große Ideen via TED in die Welt verbreitet. Gestern habe ich den TED Talk von Sam Harris mit dem Titel Science can answer moral questions gesehen. Da ich im Grunde eine naturalistische Weltsicht habe war ich sehr gespannt auf den Talk.

Ich wurde jedoch zutiefst erschüttert von der Arroganz mit der Sam Harris dort auf der Bühne andere Weltansichten, die nicht die seinen sind, versuchte als wissenschaftlich falsch darzustellen. Ja mir wurde regelrecht schlecht, als er argumentierte Kopftücher zu tragen, sei legitim, solange man es freiwillig tue, und z.B. jeder der TED Besucher, als aufgeklärtes Publikum, habe das absolute Recht dazu, aber in den islamischen Ländern sei es moralisch verwerflich, da die Frauen dort keine Wahl haben.

Die Dekadenz, die dort aus diesem, mir leider bisher unbekannten, Autor spricht ist unbeschreiblich. Er erhebt sich zum Moralapostel, zum absoluten Mittelpunkt der Welt, zur Grenze zwischen Richtig und Falsch, zur Trennlinie von Schwarz und Weiß. Sam Harris argumentiert Moral habe – genau wie die Wissenschaft – einen Anspruch auf einen absoluten Standpunkt. Auf eine absolute Wahrheit. Auf ein richtig und falsch, losgelöst vom Kontext dieser Moral. Herausgerissen aus der Kultur, der Erziehung, den weltlichen Umständen. Doch Sam Harris argumentiert falsch. Nicht einmal die Wissenschaft nimmt sich heraus die absolute Wahrheit zu kennen. Auch die Wissenschaft kann nur das erfassen, erklären und beurteilen, was innerhalb ihres Kontext geschieht. Als Isaac Newton seine Gesetze der Mechanik und Gravitation verfasste, hatte er da unrecht? Nein, in der Welt, die er kannte, die er erfassen konnte, waren diese Gesetze Wahr. Wir, als außenstehende, die diesem beengenden Kontext erweitern konnten sehen, dass seine Gesetze nur eine Näherung für einen konkreten Spezialfall waren. Aber das macht diese Gesetze für Newton und seine Zeitgenossen nicht weniger richtig. Newton hätte nichts beobachten können, dass seine Gesetze in Frage stellt. In seinem Kontext hatte er die Wahrheit gefunden.

Auch Moral kann sich nicht von diesem Kontextbegriff lösen. Die moralischen Entscheidungen, die für den Einen, innerhalb seines Kontexts, absolut vertretbar und legitim erscheinen, mögen für einen Anderen, der das Ganze von außerhalb betrachtet und nicht dem selben Kontext unterliegt, fragwürdig oder sogar schlicht falsch erscheinen. Aber auch der Andere ist nicht frei von dieser kontextuellen Betrachtung. Auch er unterliegt einer Umwelt, die seine Sicht der Dinge prägt und auch er hat nicht die absolute Wahrheit gefunden. Dies ist, was Sam Harris in seinem Talk vergisst, wenn er argumentiert, in der westlichen Welt habe man schließlich die Freiheit mit seinem Körper zu tun was man wolle. Dass das nicht einer absoluten Wahrheit entspricht erkennt er nicht. Ja, ich habe die “Freiheit” mein Gesicht zu tätowieren, mit bunten Kleidern und einer Glocke bewaffnet durch die Straßen zu marschieren oder sämtliche meiner Saufgelage ausführlich auf Facebook zu dokumentieren. In der Realität jedoch würde jede dieser Handlungen meinen gesellschaftlichen Freitod einleiten. Mit einem tätowierten Gesicht oder einem fragwürdigen Ruf, wird man bei uns eben kein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens. Höchstens Schausteller auf einem Jahrmarkt oder Zirkusakrobat.
Doch Harris erkennt das nicht, weil er sich seines eigenen geistigen Gefängnisses nicht bewußt ist und nicht sieht, dass auch seine Sicht auf die Dinge getrübt ist von den Prinzipien seiner Gesellschaft, seiner Erziehung, seinen Erfahrungen, seiner eigenen, kleinen Welt – mag sie für ihn noch so groß erscheinen. Für Menschen, die außerhalb dieser Blase stehen mag das öffentliche Auftreten auf einer Bühne ohne Kopfbedeckung so skandalös sein, wie es normal wäre vor dem Betreten der Bühne seine Schuhe aus zu ziehen und seine Füße zu waschen.

Bedeutet das, dass es richtig sein kann Kinder zu schlagen, Frauen Burkas tragen zu lassen und Dieben die Hand abzutrennen? In meinen Augen nicht. In den Augen eines anderen Menschen: wahrscheinlich ja. Steht es uns zu, darüber zu urteilen? Nein, denn auch wir können Ihren Kontext nicht erfassen. Und unser Ziel kann es darum nicht sein zu versuchen, unsere moralischen Vorstellungen in Ihren Kontext einzusetzen, wie das z.B. beim “Nationbuilding” der Fall ist, sondern das Ziel muss es sein, dass beide Seiten ihren Kontext kontinuierlich erweitern, bis man irgendwann genügen Schnittraum hat, um gemeinsame Wertvorstellungen und Moral erklären und vertreten zu können.

Die Wahrheit über die Unwahrheit

Menschen, auch ansich rechtschaffene, ehrliche Menschen lassen sich zum Lügen und Betrügen verführen. Manchmal nur ein bisschen. Manche mehr, andere weniger. Doch was bringt die Menschen dazu zu betrügen? Welche Faktoren beeinflussen unser Unrechtsbewußtsein? Wieviel Unrecht und Lüge können wir uns erlauben? Es stellt sich heraus, es ist davon abhängig welchen Pulli wir tragen…

In seinem großartigen Talk auf der TED Konferenz 2009 in Longbeach, Kalifornien spricht Dan Ariely über Moral, was unsere moralischen Vorstellungen beeinflusst und was unsere aktuelle Wirtschaftskrise damit zu tun hat.

Dan Ariely on our buggy moral code